Günter Brus



* 1938 in Ardning, AT | † 2024 in Graz, AT


Günter Brus wird im Anschlussjahr 1938 in Ardning geboren und wächst nach eigenen Aussagen in zwei Wirtshäusern in Stainz und Mureck auf. Eine Bekannte der Familie erkennt sein zeichnerisches Talent und überzeugt die Eltern, ihm den Besuch der Kunstgewerbeschule in Graz zu ermöglichen, um Werbegrafiker zu werden. Ohne eine Aufnahmeprüfung ablegen zu müssen, wird er alleine durch seine Zeichenmappe an der Akademie für angewandte Kunst aufgenommen. Im Wien der späten 1950er-Jahre wird der gebürtige Steirer zunächst mit Skepsis und Unverständnis begrüßt, um in den nächsten Jahren durch Ablehnung, Repression und Verfolgung wieder vertrieben zu werden. Aus der gestischen Malerei des Informel kommend legt er den Fokus ganz auf die körperliche Geste und findet zur entscheidenden Akzentverschiebung vom fertig gestellten Objekt zum ephemeren Geschehen im Raum, das mit Foto und Film dokumentiert wird. Seiner ersten Aktion „Ana“ (1964) folgen so ikonische Arbeiten wie die „Selbstbemalung“ (1965) oder der „Wiener Spaziergang“ (1965). Weiß bemalt geht er mit jenem für ihn charakteristischen schwarzen zuckenden Strich gleichsam längs geteilt als lebendes Bild vom Heldenplatz in Richtung Stephansplatz und wird bereits auf halbem Weg von einem Polizisten angehalten. Er erhält eine von vielen Strafanzeigen.

Mit Otto Mühl begründet Brus 1966 das „Wiener Institut für Direkte Kunst“ unter dessen Schirmherrschaft sie drei „Totalaktionen“ durchführen, die sie durch diverse selbstgedruckte Flugblätter ankündigen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Im Laufe des Jahres 1967 entwickelt Brus sein Konzept der „Körperanalysen“, bei dem er elementare existenzielle Erfahrungen thematisiert. Er verzichte auf klassische Künstlermaterialien um ausschließlich mit seinem Körper und dessen Funktionen zu arbeiten: „Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis.“ Es gibt keinen Verfremdungseffekt mehr, die Erfahrung ist unmittelbar und direkt. Der gemalte Strich auf dem Körper wird zum Schnitt in sein Fleisch, die Farbe wird ersetzt durch Körperflüssigkeiten.
Als Brus am 7. Juni 1968 im Rahmen der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ im Hörsaal 1 des neuen Institutsgebäudes der Wiener Universität eine Körperanalyse durchführt, kommt es zum Skandal. Brus wird zum erklärten Feindbild der Boulevardpresse und zum „meistgehassten Österreicher“ erklärt. Es folgt eine mediale Hetzkampagne und Diffamierung, die Peter Weibel dazu veranlasst von „Pogromstimmung“ zu sprechen. Brus wird angeklagt und wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zur Höchststrafe von sechs Monaten „strengem Arrest“ verurteilt. Er flieht mit seiner Frau Anna nach Westberlin, wo u.a. die Streitschrift „Unter dem Ladentisch“ entsteht, in der er die Zeitungsartikel, Straferkenntnisse, psychiatrischen Gutachten und Drohbriefe abdruckt und verarbeitet. Im Aktionsraum 1 in München führt Brus 1970 seine letzte Aktion durch: die „Zerreißprobe“. Die Aktion selbst besteht aus mehreren kurzen „dramatischen Situationen“, Psycho-Dramoletten, wie Brus sie nennt. Er schneidet sich mit der Rasierklinge, uriniert auf die Wunde, näht diese selbst zu, ritzt sich den Hinterkopf auf, schlägt sich mit der Peitsche, wirft sich zu Boden und bleibt irgendwann erschöpft liegen. Am Höhepunkt der Aktion sind die Extremitäten des kahlgeschorenen Künstlers in Schlingen, an deren Enden er selbst zieht, während von der Wunde am Hinterkopf das Blut seinen Rücken herunterrinnt. Der schwarze Strich aus dem „Wiener Spaziergang“ ist zur roten Blutspur geworden.
In Berlin gründet Brus gemeinsam mit Muehl, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, der 1969 ebenfalls nach Berlin geht, aus Protest gegen die erlittenen Repressionen die „Österreichische Exilregierung“. Ihr publizistisches Zentralorgan wird „Die Schastrommel“, die später in „Die Drossel“ umbenannt wird. Diese Künstlerbücher zeigen jedoch nicht nur eine kämpferische Protesthaltung gegen erlittenes Unverständnis und Unrecht, sondern auch wie eine Publikation zu einer Plattform für avantgardistisch arbeitende Künstler werden kann. Die jeweiligen Sonderausgaben mit Spezialeinbänden und beigefügten Originalwerken, für die es damals noch keine wirkliche Sammlerschaft gab, spiegeln nicht nur Idealismus und Detailliebe wieder, sondern auch die Suche nach alternativen Präsentationsmöglichkeiten, da sich die Galerien nur beschränkt interessiert zeigen. Auch die legendären Editionen von Armin Hundertmark passen zu dieser Auffassung, mit dem Do-it-yourself-Prinzip ein neues Publikum zu erreichen. Aus der Zusammenarbeit mit Hundertmark gehen einige der bemerkenswertesten Editionen der Zeit hervor, bei denen Brus im Wesentlichen dem Prinzip treu bleibt, für jede Ausgabe ausschließlich Originalzeichnungen zu verwenden. Mit der Edition  „Der Balkon Europas“ eröffnet sich für ihn zudem ein neues künstlerisches Prinzip, denn er erkennt in der Kombination von Schreiben und Zeichnen ein Potenzial, das er zum Genre der Bild-Dichtung weiterentwickelt. Die Bild-Dichtung ist eine Synthese von Sprache und Bild, bei der sich die beiden Ausdrucksformen nicht bedingen, sondern ein dialektisches und kontrapunktisches Neben- und Miteinander führen. Der Text gibt keine Erklärungen zum Bild ab, doch ist er reich an sprachlichen Bildern und Metaphern, die Zeichnung stellt keine Illustration des Geschriebenen dar, obgleich in ihr ebenso poetisch erzählt wird.
Seit den 1970er Jahren entstehen nicht nur umfangreiche Bild-Dichtungen, sondern auch tausende von Einzelzeichnungen die ein Fortleben körpernaher und existenzieller Themen zeigen. Es handelt sich um visionäre Darstellungen, die durchdrungen sind von einer Atmosphäre des Unheimlichen und Schaurigen und die oftmals in romantischen Traditionen gründen. Die Zeichnungen verschmelzen Reales und Imaginäres, Beobachtungen des Alltags und Reflexionen des Unbestimmten, momenthafte Ereignishaftigkeit mit zeitloser Dauer, schonungslose Radikalität mit subtiler Poesie, höchste Luzidität mit abgründiger Dunkelheit. Trotz der mitunter gnadenlosen Härte kommt doch auch der Humor nie zu kurz, der sich in metaphorischen Darstellungen, märchenhaft-grotesken Gestalten, gezeichneten Bildwitzen und natürlich zahllosen Wortspielen, Kalauern und Schüttelreimen offenbart. Hier zeigt sich der Künstler wie man ihn sonst wohl am ehesten privat erlebt: als genauer Beobachter, scharfzüngiger Kommentator, geistreicher Gesprächspartner und humorvoller Geschichtenerzähler. Günter Brus der als Pionier der Körperkunst gilt hat ein Oeuvre von geschätzten 40.000 Zeichnungen geschaffen. 
Text: Roman Grabner, Universalmuseum Joanneum

 

Über seine neue Arbeiten 

(Text von Roman Grabner anlässlich der Ausstellung "Ich war einmal ein Baum" 2021 in der Galerie Sommer )

Günter Brus hat schon vor über einer Dekade verkündet, dass er sich ausgezeichnet hat und damit in gewohnt doppeldeutiger Weise zum Ausdruck gebracht, dass er einerseits zum Rezipienten zahlreicher Ehrungen und Preise geworden ist und sich andererseits bei ihm auch das Gefühl eingestellt hat, dass er sich leergezeichnet hat. Bei einem Oeuvre von über 30.000 Zeichnungen ist dies durchaus nachvollziehbar. Als „Einfachbegabter, der doppelt sich äußert“ (Brus) hat er sich seither fast ausschließlich dem Schreiben gewidmet, das er in guter österreichischer Tradition vornehmlich in Cafés und anderen Lokalen betreibt.
Als am 16. März 2020 der erste Lockdown in Österreich in Kraft trat, wurden nicht nur sämtliche Bars, Cafés und Restaurants in Österreich geschlossen, sondern eine allgemeine Ausgangsbeschränkung wurde wirksam. Das Betreten öffentlicher Orte war nur mehr in Ausnahmefällen erlaubt. Von einem Tag auf den anderen sollte der Künstler sein Refugium nicht mehr verlassen und durfte auch nicht mehr in jene Etablissements, die zentrale Schaffensstätten seiner Literatur sind. Was tun? Günter Brus kehrte wieder in sein Atelier zurück und begann zu zeichnen. Der Obsession seines Wesens entsprechend, entstanden dabei nicht nur einige Blätter, sondern alleine im Jahre 2020 hat der Künstler rund 800 Zeichnungen mit Tusche und Wasserfarben angefertigt. Das Zurückgeworfensein auf seine unmittelbare Umgebung, das Ausharren im eigenen Heim, das Gefühl des Festsitzens haben zu einer neuen Schaffensblüte geführt, mit der wohl niemand mehr gerechnet hat, am allerwenigsten wohl der Künstler selbst.


Biografie & Ausstellungen
1938 geboren in Ardning, Steiermark
1954–1958 Kunstgewerbeschule Graz
1958–1960 Akademie für angewandte Kunst Wien – Austritt ohne Abschluss
1958–1964 Informelle zeichnerische und malerische Arbeiten, Bekanntschaft mit Alfons Schilling, Otto Mühl, Adolf
Frohner, Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler, Kurt Kren. 1961 lernt Brus seine spätere Frau Anna kennen.
1964 Erste Aktion „Ana“, Wien, erstmaliger Einsatz des Körpers als künstlerisches Medium; Übergang vom Informel
zur „Selbstbemalung“
1965 Weitere Aktionen, u. a. „Selbstverstümmelung“, Wien, und „Wiener Spaziergang“
1966 Teilnahme am „Destruction in Art Symposium“, London, auf Einladung von Gustav Metzger; Radikalisierung der
Aktionskunst, erste Anfertigung von Aktionspartituren
1967 „Aktion mit Diana“, Wien
1968 Aktion „Der helle Wahnsinn“, Aachen; Aktion „Kunst und Revolution“ mit Otto Mühl, Oswald Wiener, Peter
Weibel, Franz Kaltenbäck in der Wiener Universität, Verurteilung zu 6 Monaten Haftstrafe
1969 Flucht nach Berlin
1970 Letzte Aktion: „Zerreissprobe“, München
1970–1975 Rückkehr zur Zeichnung, Herausgabe des „Organs der österreichischen Exilregierung“, der „Schastrommel“
bzw. späterer „Drossel“ (bis 1977; gemeinsam mit Otmar Bauer, Oswald Wiener, Hermann Nitsch, Gerhard Rühm);
Zusammenspiel von Text und Bild, Entstehung u. a. von „Irrwisch“, „Der Balkon Europas“, „Die Zernunft“, „Das
Namenlos“; musikalischer Gemeinschaftsauftritt „Selten gehörte Musik“ mit Oswald Wiener, Gerhard Rühm, Dieter
Roth, Hermann Nitsch im Münchner Lenbachhaus
1976 Umwandlung der Haft- in eine Geldstrafe nach Audienz von Anna Brus bei Bundespräsident Kirchschläger
Seit 1976 Veröffentlichung lyrischer Arbeiten im Verlag „Das Hohe Gebrechen“ von Arnulf Meifert; Entstehung
zahlreicher Bild-Text-Zyklen, die fortan von Günter Brus als „Bild-Dichtungen“ als eigene Gattung bezeichnet werden,
u. a. „William Blake – Poetische Skizzen“, „Franz Schreker – Die Gezeichneten“; Wanderausstellung „Günter Brus –
Bild-Dichtungen“ in Hamburger Kunsthalle, Kunstmuseum Luzern und Kulturhaus der Stadt Graz im Rahmen des
„steirischen herbstes“; Roman „Die Geheimnisträger“ erscheint; Entwurf von Bühnenbildern und Kostümen, u. a. für
„Erinnerungen an die Menschheit“ von Gerhard Roth
1997 Großer Österreichischer Staatspreis für seine künstlerischen Leistungen
2004 Oskar-Kokoschka-Preis
2008 Grundsteinlegung des „BRUSEUMS“, eines Museums für Günter Brus im Landesmuseum Joanneum
2009 Ankauf des literarischen Vorlasses durch das Land Steiermark
2018 Ehrenzeichen des Landes Steiermark für Wissenschaft, Forschung und Kunst
2023 Ehrenring der Stadt Graz
2024 Am 10.02. in Graz verstorben.

Einzelausstellungen (Auswahl)
1986 erste große Retrospektive „Der Überblick“, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, Lenbachhaus München,
Kunsthalle Düsseldorf
1988 „Aktionsmalerei – Aktionismus“, Museum Fridericianum in Kassel, Kunstmuseum Winterthur, Museum für
angewandte Kunst, Wien
1989 „Der zertrümmerte Spiegel“, Albertina, Wien, Museum Ludwig, Köln; „Staubgemälde“, Studio d´Arte Cannaviello
Milano.
1993 Retrospektive „Sichtgrenze – Limité du visible“, Centre Georges Pompidou, Paris
1996 „Blitzartige Einfälle in vorgegebene Ideen“, Neue Galerie Graz, Moderna Muzej Ljubljana; „Out of Action“, u. a.
Museum of Contemporary Art, Los Angeles, Museum für angewandte Kunst, Wien
1999 Retrospektive „Leuchtstoffpoesie“, Kunsthalle Tübingen, Kunsthalle Kiel, Neue Galerie Linz
2002 Günter Brus - Das erotische Testament, Museum im Palais Kinsky, Wien
2003 „Retrospektive“, Galerie Kunst & Handel, Graz; „Werkumkreisung“, u. a. Albertina, Wien, Neue Galerie Graz
2005 „Günter Brus – Nervous stillness on the horizon“, MACBA Barcelona
2006 „A Günter Brus Retrospective“, Slought Foundation, Philadelphia; „Günter Brus – das grafische Werk“, Galerie
Kunst & Handel, Graz
2007 „Günter Brus – Aurore de minuit“, Musée d'art moderne de Saint Etienne Metropole
2008 „Günter Brus – Mitternachtsröte“, Museum für angewandte Kunst, Wien; „Günter Brus“, Groeningemuseum
Brügge; „Ein Fest für Brus“, bestehend aus der Ausstellung „BRUS's + BLAKE's Jobs“ und Symposion, Neue Galerie Graz
2009 „Günter Brus: Die große Dichtkunstmaschine“, Galerie kunsthaus muerz; Konfluenzen & Differenzen I. Günter
Brus und Max Klinger, Neue Galerie Graz; „Konfluenzen & Differenzen II. Günter Brus und Alfred Kubin“, Neue Galerie
Graz
2010 „Günter Brus – Crossing the border“, BRUSEUM/Neue Galerie Graz und Janus Pannonius Múzeum Pécs
2016 „Störungszonen“ Martin-Gropius-Bau, Berliner Festspiele, Berlin
2018 „Einsichten“ Galerie Kunst & Handel, Graz
„Unruhe nach dem Sturm“, Blevedere 21, Wien
2019 „The Loneliness of a Late Classic“, W&K Palais Wien
2021 „Ich war einmal ein Baum“, Galerie Sommer, Graz
2022 „Herzeigung“, Eine Retroperspektive aus der Sammlung der THP Privatstiftung, Bruseum, Universalmuseum
Joanneum, Graz
2023 „Sichtweisen Sichtweiten“, Galerie Sommer, Graz

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